Fasten und Teilen
Predigtentwurf - gerne zum Weiternutzen
Geschwistergeschichten können ganze Abende füllen, das wissen alle, die Geschwister haben, das wissen alle, die Kinder haben. Geschwistergeschichten füllen auch in der Bibel ganze Bücher: Kain und Abel, Jakob und Esau, Mose und Aaron, um nur einige zu nennen.
Geschwistergeschichten sind mitten aus dem Leben gegriffen und für fast jeden Menschen verständlich, und so ist dann auch das Gleichnis des heutigen Evangeliums eine Geschwistergeschichte, die Geschichte zweier ungleicher Brüder.
Der jüngere Bruder verlangt von seinem Vater seinen Erbteil. Sobald er ihn erhalten hat, zieht er fort. Vielleicht will er sich eine eigene Existenz aufbauen, aber das geht gründlich daneben. Das Geld ist weg, verprasst heißt es. Zum Bettler herabgesunken, arbeitet er als Schweinehirte und hungert dabei so sehr, dass er sich reumütig nach dem Haus seines Vaters zurücksehnt und sich vornimmt, dem Vater seine Sünde zu bekennen und ihn um eine Stelle als geringer Tagelöhner zu bitten. Als er dann tatsächlich nach Hause zurückkehrt, ist der Vater so froh über die Rückkehr seines Sohnes, dass er ihn kaum ausreden lässt und sofort wieder bei sich aufnimmt. Er kleidet ihn festlich ein und veranstaltet ein großes Fest.
Soweit könnte ja alles gut sein. Versöhnung im wahrsten Sinn des Wortes: Der jüngere Sohn hat seine Fehler erkannt und eingestanden und der Vater nimmt ihn in Freuden auf.
Und dann kommt das Aber: Der ältere Sohn, der daheim geblieben war, dem Vater die ganze Zeit über treu gedient hat, beklagt sich über das Verhalten seines Vaters. Er fühlt sich ungerecht behandelt und ist so verärgert, dass er seinem jüngeren Bruder das Brudersein abspricht: „Der da, dein Sohn“ sagt er zum Vater, er bezeichnet den Jüngeren nicht mal als seinen Bruder. „Nie hast du für mich …, aber für ihn!“, so die Worte des Älteren. Wir hören den Vorwurf an den Vater, der sich im Ärger über das Fest zeigt. Die Beziehung zwischen dem Vater und seinem älteren Sohn ist gestört. Der ältere Sohn fühlt sich übergangen, wohl auch, weil er von seinem Vater vor vollendete Tatsachen gestellt wird und nicht einbezogen war in die erste Wiederbegegnung.
Und der Vater: Mein Sohn, alles was mein ist, ist dein. Kein Vorwurf, keine unnütze Diskussion. Aber ein wichtiger Hinweis: Was mein ist, ist dein. Du verlierst doch nichts, wenn ich deinen Bruder wieder aufnehme, meine Liebe zu Dir wird doch nicht kleiner, weil ich auch deinen Bruder liebe. Der Vater drückt es in ganz starken Worten aus: „Mein Kind, du bist immer bei mir, und alles, was mein ist, ist auch dein. Aber jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern; denn dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden.“ Es ist die Einladung, dass auf die Versöhnung auch die erneute Verschwisterung folgt. Leider erfahren wir nicht mehr, ob und wie der Ältere diese Einladung annimmt.
So manche Hinweise für uns heute sind in diesem Gleichnis enthalten:
- Der jüngere Sohn erkennt sein Scheitern an. Es ist nun wirklich nicht leicht, einen Fehler, gar ein Scheitern zuzugeben. So manche meinen, sie würden dadurch ihr Gesicht verlieren. Es erfordert viel Mut. Und die Kraft, umzukehren.
Wir erleben immer wieder, in den kleinen Lebensbereichen der Familie oder der Stadt, aber auch in Staat und Gesellschaft und international, wie Menschen sich verrennen und dann keinen Ausweg mehr finden. Und welch Freude wird es sein, wenn sie umkehren und ihren Fehler oder Irrtum eingestehen. Und ja, in diesen Tagen darf man da auch an Putin und den Krieg in der Ukraine denken.
- Der Vater freut sich einfach und schenkt dem Jüngeren seine Liebe. Er akzeptiert die Umkehr. Das ist nicht so einfach, wie es sich anhört.
Manche von uns kennen das und wissen, wie schwer es sein kann, an eine Umkehr zu glauben, eine Vergebungsbitte anzunehmen und Vergebung dann auch zu gewähren. Bisweilen steht da der eigene Stolz im Weg, bisweilen haben sich beide in ausweglose Situationen verrannt. Wie wohltuend ist da das Verhalten des Vaters im Gleichnis, der sich einfach freut und den Sohn wieder in Ehren aufnimmt.
Viele von uns werden Parallelen in ihrem Leben finden. Und ja, in dieses Tagen darf man auch an den Ukrainekrieg denken – und wie es weitergehen soll.
- Der älteste Sohn fühlt sich übergangen und zurückgesetzt.
Wie schnell geschieht es, dass in Familien und Gruppen, in Kirche und Gesellschaft Entscheidungen getroffen werden, ohne die Betroffenen zu beteiligen. Da sind wir in den letzten Jahren sehr sensibel geworden und das ist auch gut so. Tragfähige Lösungen werden sich nur finden lassen, wenn alle Beteiligten bei der Suche und bei der Entscheidungsfindung beteiligt werden. Das gilt in unseren Vereinen und Verbänden, das gilt in der Kirche auf ihrem Weg und die Zukunft.
Das Argument der Macht zählt nicht mehr, erst recht nicht, wenn es mit Gewalt einhergeht, die ja auch im frommen Gewand daherkommen kann, wie wir in der Kirche derzeit viel zu oft erfahren. Und ja, man darf in diesen Tagen auch an die Ukraine und an die Erarbeitung einer tragfähigen Lösung denken.
- Und schließlich und endlich: Am Ende steht ein Fest der Versöhnung und der Neuverschwisterung und dies im gemeinsamen Mahl. Da sind ganz sicher nicht die streng reglementierten Staatsbankette gemeint. Da geht es um den Teller Suppe und das geteilte Brot. Wenn Menschen so das Leben teilen und das Brot, dann fängt Versöhnung, dann fängt Verschwisterung an.
Die Geschwistergeschichte der beiden Söhne und ihres Vaters kann und will eine Spur legen zum geschwisterlichen Umgang miteinander in Kirche und Gesellschaft, in Stadt und Pfarrgemeinde, in unseren Verbänden und Vereinen und in unseren Familien. Es lohnt sich, diese Versöhnung und Verschwisterung immer wieder neu zu feiern – in jedem Gottesdienst, bei jedem gemeinsamen Essen, bei jedem Teller Suppe aus dem großen Gemeinschaftstopf.
Christian Preis
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